Buchbesprechung

Befreiung vom inneren Patriarchen

(Veröffentlicht in: Intra / Psychologie & Gesellschaft, 1998)

Sidra Stone: „Es ist Zeit, dass du gehst. Frauen befreien sich vom inneren Patriarchen“. Kösel Verlag, 1997

 

also, gleich vorweg: mein innerer patriarch hat zeitweise laut aufgestöhnt bei diesem buch – und hin und wieder, ich gestehe, hätte er es am liebsten in die nächste ecke geschleudert. warum? weil es phasenweise an bisher unbekannten (unbewußten), verdammt wunden punkten rührte, und sich mein innerer patriarch gehörig auf den schlips getreten fühlte. andererseits schien er manchmal regelrecht gestalt anzunehmen als eine unabhängige, eigenständige person und sich voller stolz zu brüsten: jaja, es gibt mich, und ich bin der beste und stärkste und klügste, und überhaupt…

ich befürchte, dieses buch wird die gesammelte mann- pardon: frauschaft aller feministinnen, emanzen und kämpferinnen für frauenrechte mobilisieren, geht es doch darum, nicht das äußere patriarchat, die gesellschaft und ihre regeln zu bekämpfen, sondern „in diesem buch geht es darum, uns selbst zu verändern.“ denn: „in jeder von uns lebt ein innerer patriarch, der an den alten patriarchalischen regeln und werten festhält, die unsere mütter uns beigebracht haben….der feind befindet sich nicht mehr „da draußen“, sondern tief im inneren jeder einzelnen frau“ – eine mutige und sich nicht ganz unwahre behauptung!

und er ist ein wahrer schweinehund, unser innerer patriarch, auch schattenkönig genannt, weil er am liebsten „jenseits unserer wahrnehmungsgrenzen“ agiert, „im schatten unseres unbewußten“. er entspricht dem idealen bild eines mannes, wie wir ihn nicht haben wollen (zumindest die einigermaßen fortschrittlich denkenden menschen auf diesem erdball): er hält uns (=frauen) in einer unterlegenheitsposition, er untergräbt unser selbstvertrauen, flößt uns mißtrauen anderen frauen gegenüber ein, schätzt traditionell männlich werte bei weitem höher ein als sogenannte weibliche, er will, daß wir anderen umsorgen, aber bloß ja keine gegenleistung dafür verlangen, er hält frauen für unfähig, es allein im leben zu etwas zu bringen und er bringt frauen in die altbekannte falle: „1. frauen sollen weiblich sein. 2. wenn sie das nicht sind, sind sie als frauen versagerinnen. 3. verhalten sie sich aber weiblich, sind sie männern unterlegen, denn die traditionell weiblichen eigenschaften sind weniger wert als die traditionell männlichen qualitäten“. ich sag´s ja, so ein richtiger miesling! das problem dabei, laut sidra stone: der miesling steckt in uns, ist teil von uns, von frauen wie männern, er ist unsere eigene innere stimme (gottseidank eine von mehreren) – wir können uns nicht als opfer deklarieren oder die umstände anklagen, wir müssen leider selbst die verantwortung übernehmen.

gemeinsam mit ihrem mann hat die autorin und psychotherapeutin sidra stone im laufe der jahre die voice-dialogue-methode entwickelt, mittels derer sie dem schattenkönig auf die spur gekommen sind. grundlage ihrer theorie sind die vielen verschiedenen „inneren personen“, die unser leben beherrschen: primäre innere personen, die „bestimmen, wer wir sind und was wir tun“ und „verdrängte innere personen“, jene stimmen in uns, die wir unterdrücken oder verleugnen – meist das pendant zur primären person. in ihren sitzungen spricht die therapeutin geradeaus mit der jeweiligen inneren person eines menschen – was insofern kein problem darstellt, als „die verschiedenen inneren personen überglücklich sind, wenn sie reden dürfen“. und was da alles zum vorschein kommt!!! adriannes innerer patriarch beispielsweise gesteht: „ich habe keinen respekt vor frauen. was mich betrifft, so kann mir keine frau etwas beibringen. ich habe sie alle beobachtet, und keine ist etwas wert, besonders die weibchenhaften, femininen nicht“. wir haben die regeln, die wir bekämpfen, verinnerlicht – so sehr, meint sidra stone, daß wir oft nicht mehr erkennen, wenn sich der mann uns gegenüber eigentlich ganz anders verhält. wir glauben einfach, daß die stimme, die wir hören, seine ist und nicht die unseres eigenen inneren patriarchen (auch wenn die stimmen in manchen fällen identisch klingen mögen).

aber noch ist nicht alle hoffnung verloren: im vierten kapitel ihres buches stellt sidra stone einen „neuen weg“ vor, die macht des patriarchen auszugleichen, den bann zu brechen und von unserer heißgeliebten dualität wegzukommen, die unsere welt so übersichtlich in männlein und weiblein teilt. wie das geht, sei hier nicht verraten.

das buch ist schließlich von jedermann/frau leicht zu lesen, manchmal vielleicht ein wenig verwirrend, in seltenen fällen auch ein wenig widersprüchlich, aber nichtsdestotrotz sehr anregend. natürlich scheint es hin und wieder, als würden hier sämtliche geschlechtsrollenklischees zur parade antreten, aber wer bereit ist, sich mit diesem thema auseinanderzusetzen und sich nicht an einer etwas vereinfachten darstellungsform stößt, wird sicherlich mit genügend material zum nachdenken versorgt. denn auch wenn er in seiner beschreibung ein bißchen an unsere schulkindliche vorstellung vom lieben gott erinnert (bloß ohne bart und vielleicht ein bißchen moderner gekleidet), etwas wahres, fürchte ich, muß schon dran sein an der mehr oder weniger schattenhaften existenz unseres inneren patriarchen.