Portraits

Rüdiger Dahlke: Portrait eines Weitgereisten

(Kurzversion davon veröffentlicht in: Klipp, Feb 2013)

 

Es ist ein grauer wolkenverhangener Vormittag in Graz, als ich mich ins Auto setze und aufmache nach TamanGa – taman auf balinesisch: Garten, Ga steht für Gamlitz. Ein besonderer Garten in Gamlitz also, diesem verschlafenen kleinen Örtchen im letzten Zipfel der Südsteiermark, der südsteirischen Toskana, wie sie gern genannt wird. Ein Wein- und Blumeneldorado, einzigartig in Europa – und seit dem Frühjahr 2012 Wohnort und Seminarzentrum des Rüdiger Dahlke. Hier hat der vielgereiste, international bekannte Ganzheitsmediziner und Buchautor gemeinsam mit seiner Lebenspartnerin Rita Fasel eine neue Heimat gefunden.

Die Einfahrt zum Gebäudekomplex wirkt verlassen. Ich parke das Auto unter ein paar riesigen alten Bäumen und marschiere los zum Haupt- und Empfangsgebäude. Die Anlage atmet Ruhe, strahlt Geborgenheit aus. Eine schwarze Katze kommt vorbei, kreuzt meinen Weg, interessiert sich nicht weiter für mich. Dafür werde ich von einem freundlichen kleinen Hund schwanzwedelnd begrüßt. Ich werfe einen Blick auf den großen Übersichtsplan, auf dem die gesamte Anlage aufgezeichnet ist und folge dem Weg zur Rezeption.

Unterwegs unzählige kleine Skulpturen, die da und dort liebevoll verstreut sind, ein kleiner Teich mit Goldfischen, viele Bäume, Büsche, Bänke, die zum Verweilen einladen. In der Rezeption sind mehrere MitarbeiterInnen beschäftigt. Ich werde ins Nebengebäude geführt, in den großen Speisesaal mit einer Glasfront, die einen weiten Ausblick ins umliegende Gelände erlaubt. Während ich noch kurz warte, bekomme ich Kaffee serviert – mit Mandelmilch – erstmals, und es schmeckt unerwartet lecker. Ich genieße die ungewohnte Stille und Beschaulichkeit, spüre den Energien nach. Ja, es fühlt sich gut an hier, dieser Ort hat wahrlich eine gute Ausstrahlung, ein besonderes Flair.

Dann betritt Rüdiger Dahlke den Raum. Eine schlanke, drahtige Gestalt, knapp 172 Zentimeter groß, wie er mir später verrät, ein jugendliches, fast faltenfreies Gesicht, freundliche,  wache Augen. Der Mediziner steckt ganz unprätentiös in Jeans, Jeanshemd und Jacke… es ist immerhin sein Zuhause hier, wie er im Lauf des Interviews noch mehrfach betont, so als wäre er selbst noch ein wenig verwundert über diese Tatsache.

Er führt mich ins Kaminzimmer, mit gemütlichen Sofas und kleiner Bibliothek. Hier soll unser Interview stattfinden. Ich will ein bisschen von der Lebensgeschichte dieses Mannes erfahren, der sein Erwachsenenleben lang die Medizin so stark geprägt und verändert hat, der einen Begriff wie Psychosomatik erst unters Volk gebracht hat und die Eigenverantwortung für Gesundheit und Krankheit nie stark genug betonen kann. Wer ist der Mensch hinter dem bekannten Arzt und Therapeuten, dem Seminar- und Ausbildungsleiter, dem Vortragenden und Buchautor? Was hat seinen Lebensweg beeinflusst? Was hat ihn geprägt?

Rüdiger Dahlke beginnt zu erzählen. 1951 in Berlin geboren, als Ältester von vier Kindern. Es folgen später noch die Schwestern Kerstin und Angela und Bruder Jürgen. Der Vater ist Ingenieur, muss von Berufs wegen oft umziehen… der kleine Rüdiger lernt schon früh dieses nomadenhafte Leben kennen, das ihn auch später durch die Welt treiben wird. Nirgendwo bleibt die Familie allzu lang.

„Es war eine aufregende, spannende Zeit für uns Kinder  in diesem Nachkriegsberlin“, erinnert er sich. „Wir haben mit Bombentrichtern gespielt“, was natürlich strengstens verboten war, aber von herrschenden Regeln hat er sich schon damals nicht beeindrucken lassen.

Als Rüdiger Dahlke acht Jahre alt ist, lässt sich die Mutter scheiden, ein neuer Vater kommt ins Haus. „So ganz  anders als der leibliche, mehr das Pendant dazu“. Während der leibliche Vater strikt gegen das Militär eingestellt ist, arbeitet der Stiefvater bei der Bundeswehr. Sein leiblicher Vater hat ihm beim Spielen das Gummimesser weggenommen – „mit so was spielt man nicht!“ – er solle eher lesen. Beim Stiefvater fand er das Gegenprogramm: Sport und ein Luftgewehr. „Erwachsene haben`s nicht alle“, denkt sich der junge Rüdiger. Die Unmöglichkeit eine gültige Wahrheit hinter dieser Meinungsvielfalt der beiden Väter zu finden, mag sein Denken geprägt, zum Denken angeregt haben – er will sich seine eigene Meinung bilden, fängt immer stärker an Gegebenheiten zu hinterfragen.

Auch mit dem neuen Vater zieht die Familie öfter um, das Nomandengen kursiert quasi ständig in seinem Blut. Die Familie geht schließlich nach Bayern, in ein kleines Dorf bei Landsberg. Hier kommen bald auch noch zwei weitere Geschwisterchen dazu.

Für Rüdiger Dahlke bedeutet der Umzug erst mal einen Kulturschock: „Ich hab hochdeutsch gesprochen, dort war tiefstes bayrisch angesagt“. Allein sprachlich habe man sich schlecht verstanden. Aber auch die andere Lebensweise macht ihm zu schaffen. „Der Stiefvater ist öfter laut geworden, hat manchmal richtig gebrüllt, auch mal zugeschlagen“. In der Schule sitzen über 60 Kinder in einer Klasse, Schlagen und prügeln steht an der Tagesordnung. Und: „Alle und alles war auf Fußball getrimmt – und ich war der Saupreis!“

Es fällt ihm schwer Fuß zu fassen. „Ich war  intellektuell ja schon viel weiter, die Lehrer waren allesamt hilflos, überfordert mit mir“, während er sich unterfordert fühlt, unglücklich… bis sich ein Ausweg auftut: „Ich hab mit dem Skifahren angefangen. Das war damals ja völlig unüblich für einen Berliner, aber es hat Spaß gemacht.“ Und den Teenager packt ein wilder Ehrgeiz, er steht nur mehr auf der Piste, gewinnt die ersten Rennen. Damit wendet sich das Blatt: „Ich war endlich wer, ich war anerkannt, beliebt – nicht mehr der Saupreis.“

Mit dem Skifahren sind ihm alle Türen aufgegangen, er wurde bewundert, respektiert – naheliegend, dass er diesen Sport zu seinem Beruf, hierbei Karriere machen wollte. „Meine Mutter war dagegen, sie wollte mich unbedingt davon abbringen.“ Was sich der rebellische Teenager natürlich nicht hat ausreden lassen, immerhin hat er bei den Staatsmeisterschaften teilgenommen, ist sein Name in der Zeitung gestanden.

Dass er dann trotzdem die Schikarriere an den Nagel hängt, hängt mit drei Unfällen zusammen, die er heute als klaren Wink des Schicksals versteht: „Ich hatte drei Skiunfälle, habe mir dabei dreimal etwas gebrochen. Zuerst war es der linke Fuß… acht Wochen Gips… dann der rechten Fuß… wieder Gips… zuletzt die Schulter. Da war ich schließlich acht, neun Wochen im Nazigruß eingegipst. Da hab ich endlich kapiert, dass ich das mit dem Skifahren besser bleiben lassen sollte. Die Hinweise und Zeichen waren immerhin erdrückend.“ Gottseidank, sagt er heute mit einem feinen Lächeln im Gesicht, „sonst wär ich mittlerweile bloß eine gealterte Werbefläche“. Er wäre halt vom Ehrgeiz zerfressen gewesen, „denn sonst hätt ich es schon beim ersten Mal kapieren können.“ Krankheit als Weg eben.

Während er im Krankenhaus liegt, freundet er sich mit dem Jungen im Nebenbett an. Der bekommt regelmäßig Besuch vom Psychologen, der mit ihm Autogenes Training übt. Rüdiger Dahlke, damals knapp 15 Jahre alt, hört interessiert zu, ist fasziniert von dieser Methode – ein Grundstein für seine späteren Arbeiten.

Schließlich gibt er in der Schule noch einmal so richtig Gas. „Ich war unterfordert, sehr frech und vorlaut, aber ich hatte ein gutes fotographisches Gedächtnis, das hat so manchen Lehrer zu Verzweiflung getrieben. Ich konnte immer genau sagen, in welchem Buch was auf welcher Seite gestanden ist, der Lehrer durfte sich also keinen Fehler erlauben.“

Der heute so ruhig und gelassen wirkende 61-jährige meint: „Ich war ein Zappelphilipp, immer unruhig, immer in Bewegung. Heute würde man vermutlich sagen: ADHS, hyperaktiv – und mich mit Medikamenten ruhig stellen, aber meine Mutter hat das damals nicht dramatisch genommen. Sie hat mich einfach immer beschäftigt, denn mir war schnell langweilig.“

Rüdiger Dahlke sucht Nahrung für seinen Geist, er lernt Griechisch, Latein, Hebräisch. „Solange ich Einsen hab, musste ich auch nicht immer anwesend sein in der Schule“, berichtet der Erfolgsautor heute, „ich hab öfter geschwänzt, aber meine Mutter ist immer hinter mir gestanden. Sie war immer eine exzellente Pädagogin, ist sie auch heute noch mit ihren 84 Jahren“, schwärmt Dahlke.

Seine Geschwister seien allesamt ruhiger gewesen als er, nicht so interessiert an der Welt und an allem, was in ihr vorgeht. Da er der Älteste ist, wird er für die jüngeren Geschwister oft als Babysitter eingesetzt. „Ich bin hunderte Kilometer mit dem Rad und meinen Geschwistern drauf durch Gegend gefahren, durch Wald und Wiesen. Ich hab viel nachgedacht in dieser Zeit, auch eine große Naturbezogenheit war immer schon da.“

1970 macht er mit 19 die Matura in Freising. Da ist die wilde Hippiezeit schon in vollem Gang. Und Rüdiger Dahlke mittendrin. Schon mit 17, als er noch zur Schule geht, zieht es ihn auf die Uni zu Vorlesungen, er ist überall dabei, bei Demos, Sit-ins. Ideologisch ist er damals sehr weit links. Er will sich einsetzen für ein humaneres, friedlicheres Leben, eine gerechtere Welt, für mehr Naturverbundenheit. Konsumkritik und Kommunismus begeistern ihn, wie viele andere auch. „Wie haben gegen alles und jeden protestiert, oft haben wir nicht mal so genau gewusst gegen was eigentlich“, steht er seiner damaligen Einstellung durchaus kritisch gegenüber.

Sein leiblicher Vater hatte ihn stark antifaschistisch erzogen und sehr konservativ,  es gibt zu dieser Zeit oft Auseinandersetzungen mit ihm. Aber der Vater hat ihm auch, wie er sagt, die Nachteile des Kommunismus aufgezeigt. Er hat ihm damals viele Reisen ermöglicht, für die der Weltenbummler heute sehr dankbar ist. Haben sie doch seine Sicht verändert, seinen Blickwinkel neu ausgerichtet: „Denn wenn du aus der DDR kommst und nach Kuba reist und dort dreimal deinen Pass herzeigen musst, bevor du überhaupt an den Strand darfst, das ist schon frustrierend.“ Der Vater empfiehlt ihm auch, „den Klassenfeind selber anzuschauen“.

Er darf für ein Semester ins Austin College nach Texas gehen.  „Das war zwar sündteuer, aber Vater hat`s gezahlt“. Und dieses eine Semester in Amerika, das hat ihm wiederum viel gebracht. „Da war ich endlich wirklich gefordert!“  Das Elitecollege ist ihm in bester Erinnerung. „Es war eine sehr schöne Zeit, ich habe viel gelernt, habe die Unterschiede im deutschen und amerikanischen Bildungssystem kennengelernt“. Es gäbe ein ganz anderes System dort, meint er, viel entspannter – „während du hier in Deutschland bei Prüfungen nichts nachlesen darfst, das wäre Betrug, war es dort völlig ok, wenn man nachliest, wenn man weiß, wie und  wo man sich seine  Informationen herholt.“

Rüdiger Dahlke wäre gerne geblieben, allein es fehlt am Geld. Also kommt er wieder zurück nach München, muss sich für einen Berufsweg entscheiden.

Die familiären Vorgaben waren: Der Großvater mütterlicherseits war Arzt, die Mutter sozial immer sehr engagiert.  „Als Kinder haben wir sie „evangelo sozialo humano“ genannt, sie wollte am liebsten lauter kleine Albert Schweitzers aus uns  machen“. Daraufhin muss er – natürlich – in Opposition gehen: Medizin und Theologie schließt er für sich aus. Er interessiert sich für Architektur, für Biologie, für Journalismus.

„Ich war damals in einer Amnesty International Gruppe engagiert, habe dort viele wichtige Gespräche geführt, unter anderem auch immer wieder über meine berufliche Zukunft.“ Im Dialog kann er seinen Widerstand überwinden, er stellt fest, dass es doch die Medizin ist, die ihn am meisten fasziniert.

„Ich wär sehr gern zum Studieren nach Innsbruck gegangen, dort hätte ich auch weiterhin Skifahren können, doch das ging damals nicht, es gab bereits den Numerus clausus.“ Also bleibt er in München und beginnt hier sein Medizinstudium. Schon während des Studiums beschäftigt er sich nebenbei intensiv mit Psychologie, TCM (Traditionell Chinesische Medizin) und verschiedenen Naturheilweisen. „In der Schulmedizin war ja das meiste nur zum Auswendiglernen, das war mir zu wenig. Ich hab immer schnell begriffen, mich haben immer viel mehr die Hintergründe interessiert.“ Auf seiner Homepage schreibt er dazu: „Aus Neugier und Frustration über die mich in ihren Möglichkeiten und in ihrer Art enttäuschende Schulmedizin lernte ich verschiedene Naturheilverfahren und vor allem Homöopathie. Aus Frustration über meine eigenen Barrieren und Hemmnisse begann ich gleich zu Beginn des Studiums eine analytische Psychotherapie. Während und nach dem Studium reiste ich viel und erlebte in verschiedenen Kulturen andere, mich faszinierende Heil-Methoden von Geist-Chirurgen auf den Philippinen über schamanistische Rituale bis zu Meditations-Heilungen in indischen Ashrams“.

Er entscheidet zunächst, Psychoanalytiker zu werden. Aber: „Nach einem desillusionierenden Jahr in der Klinik und der Enttäuschung durch die Psychoanalyse…“ macht er sich erneut auf die Suche. Er schnuppert in verschiedene Therapierichtungen hinein, aber nichts kann ihn wirklich fesseln. Bis, ja bis er Thorwald Dethlefsen kennenlernt – und er  ist schnell begeistert von dessen Reeinkarnationstherapie. Dethlefsen bietet damals noch Seminare  in seinem Wohnzimmer an, hat gerade angefangen zu experimentieren. „Das hat mir gefallen, ich war ja noch nicht zufrieden, wollte in der Lebenserkundung noch weiter zurück, über die Analyse, die Hypnose hinaus. Der Psychologe Dethlefsen bietet ihm einen Weg mit seinen neu entwickelten Methoden. 1977 beginnt die intensive und fruchtbare 12jährige Zusammenarbeit mit Thorwald Dethlefsen an dessen Institut für außerordentliche Psychologie in München. Werkzeuge aus dem Autogenen Training, dem Katathymen Bilderleben, Rebirthing, Astrologie und anderem fließen in die weitere Entwicklung der Reinkarnationstherapie mit ein.

1978 hat Dahlke seine Promotion, die Doktorarbeit hat er zum Thema „Zur Psychosomatik des kindlichen Asthma bronchiale“ geschrieben. Er bleibt als Arzt und Therapeut am Institut. „Wir haben die Psychosomatik damals gemeinsam entwickelt, gemeinsam geforscht, uns gegenseitig therapiert“, berichtet er aus dieser Zeit. Zusammen mit Thorwald Dethlefsen macht er Reisen, Seminare und gemeinsam entsteht schließlich das Buch „Krankheit als Weg“.

Dahlke schreibt dazu auf seiner Homepage: „Die Krankheitsbilder-Deutung hatte ich in meiner Praxis als Arzt für Naturheilweisen in seinem (Anm: Detlefsens) Münchner Institut entwickelt aus den Erfahrungen der Psychotherapie und den Grundgesetzen der hermetischen Philosophie. Sie wurde zur zentralen Säule meiner frühen ärztlichen Arbeit.“

Sein erstes Buch schreibt Dahlke zum Thema Fasten („Bewusst fasten“). Er hat das Fasten in Indien kennengelernt, ist fasziniert und bringt es in seine Arbeit ein, verknüpft es mit seelischen Vorgängen („Verstopfte Menschen können nicht gut loslassen“)  – damit geht er radikal über die Schulmedizin hinaus.

Dethlefsen interessiert sich für diesen Ansatz, sie planen einen gemeinsamen Urlaub auf Ibiza. Rüdiger Dahlke: „Wir haben drei bis vier Wochen lang gemeinsam am Buch geschrieben.“ 1983 erscheint „Krankheit als Weg“ und wird sofort zum Bestseller. „Das Buch ist am Markt förmlich explodiert, wir haben das zuerst gar nicht so mitgekriegt, es war ungemein erfolgreich, ist gleich über die 100.000er Grenze hinausgeschossen.“ Die Autoren rütteln auf mit ihrem Thema, wirbeln die Medizin durcheinander. Das freut Dahlke, denn: „Ich wollte immer schon eine andere, umfassendere Medizin“.

Heute steht das Buch sicher weit über zwei Millionen, schätzt er. Es wird immer noch gerne gekauft und gelesen. Zusammen mit seinem späteren Buch „Krankheit als Symbol“, das als Nachschlagewerk dazu dient, sind es Standardwerke ganzheitlicher Psychosomatik „unter Einschluss der spirituellen Dimension“, wie er betont. Beide Bücher dürften auch heute vermutlich in keiner (öffentlichen wie privaten) Bibliothek fehlen.

Doch während Dethlefsen sich immer stärker in geistige Welten begibt, zieht es den jungen Arzt mehr in die Richtung körperlicher Erfahrungen und Heilweisen …. Bewegung, Ernährung, Fasten, Entspannung werden in seinem Weltbild, seiner Arbeit immer bedeutsamer.

Zur Trennung kommt es schließlich, als der Psychologe Dethlefsen nur mehr in energetisch geistigen Bereichen mit Medien, Channeling arbeiten will. „Ich hatte dazu nicht so den Bezug, mir war immer der wissenschaftliche Hintergrund wichtig“. Rüdiger Dahlke will „die Medizin erweitern um eine spirituelle Dimension, aber nicht ins rein Spirituelle abgleiten.“

Als Thorwald Dethlefsen plant eine eigene Kirche zu gründen („Kawwana“, Kirche des  Neuen Aeons, die er dann auch selber leitet), will er Rüdiger Dahlke dabeihaben. „Aber das ist mir zu viel geworden, ich konnte das nicht vertreten und bin weggegangen – wie viel andere damals auch“.

Der persönliche Kontakt bricht ab.  Detlefen will ihm noch ins Gewissen reden, es wäre zwingend für sein Seelenheil, aber der Mediziner und Therapeut Dahlke ist bereits aufgebrochen  zu neuen Ufern. Heute bezeichnet er diese Zeit mit Dethlefsen „als zwölf Jahre der Übergangszeit“.

Er hat viel geschrieben in diesen Jahren, die Bücher fließen förmlich aus ihm heraus: „Krankheit als Sprache der Seele“,  „Frauen-Heil-Kunde“, „Aggression als Chance“, „Depression – Wege aus der dunklen Nacht der Seele“, „Verdauungsprobleme“, „Herz(ens)probleme“, „Gewichtsprobleme“, „Das Raucherbuch“, „Krankheit als Sprache der Kinder-Seele“. Parallel dazu entstehen geführte CDs, mit deren Hilfe diese Erkenntnisse „in Fleisch und Blut übergeführt werden sollen“. Bücher und CDs zusammen ergeben  ein Programm für beide Gehirnhälften. „Während die Bücher die archetypisch linke männliche Hälfte ansprechen, gelten die geführten Meditationen auf CD der archetypisch weiblichen rechten Gehirnhälfte.“

Noch während dieser „Übergangsjahre“  schreibt er seinen ersten – und bisher einzigen – Roman („Habakuck und Hibbelig“), der 1987 erscheint. Dabei lernt er Margit kennen, die Freundin eines Kollegen, die sein Buch lektoriert. „Wir haben uns verliebt… und waren 25 Jahre verheiratet“, will Dahlke das Thema kurz zusammenfassen. Aber ich hacke nach: wie war das mit der Frau „seiner ersten Lebenshälfte“, wie er sie gerne bezeichnet? „Ich war 35 und wollte eigentlich nie heiraten“, berichtet er denn doch sehr offen. Einmal seien sie auf einer Reise in Verona in einer Kirche mitten in einer Hochzeit gelandet. „Bloß weg hier“, hat er sich nur gedacht und so sind sie beide aus der Kirche geflüchtet. „Es war damals sehr entlastend für mich, dass Margit ebenso denkt“. So entlastend und befreiend, dass er kurz darauf meint: „Dich würde ich aber schon heiraten, hast du Lust?“. Worauf die Frau seiner ersten Lebenshälfte kategorisch ablehnt: „Nein!“ Nach einer halben Stunde, so berichtet Dahlke weiter, sei von ihr allerdings die Frage gekommen: „Hast du das tatsächlich ernst gemeint? Wenn du wirklich willst, tät ich ja sagen…“

Also wird in Wien geheiratet, schlicht, alternativ und ohne viel Aufwand – hippiemäßig eben, wie es sich gehört für diese Zeit. 1992 wird Tochter Naomi geboren  – mit Down-Syndrom. Er baut mit Margit Haus und Hof, gründet das Heil-Kunde-Zentrum Johanniskirchen, das ihrer beider Lebens- und Arbeitsmittelpunkt wird. Wobei das beim vielgereisten Nomaden Dahlke durchaus ein dehnbarer Begriff ist. Als Vortragender und Seminarleiter ist er weiterhin viel unterwegs. Lebt Monate in Namibia und in Indien, reist durch Europa. Das Nomadengen begleitet ihn sein ganzes Leben. „Ich bin immer schon gerne in Bewegung gewesen, bin gern gereist“. Und: „Ich war sicher kein idealer Partner“, wie er heute bekennt, „ich war dauernd auf Achse, das war mein erster Versuch damals sesshaft zu werden“ – der sei noch nicht so geglückt.

In den Folge entstehen weitere wichtige Bücher und Seminare. „In diesen Jahren der Psychotherapie, die 27 Jahre einen Schwerpunkt in meinem Leben ausmachte, entwickelte ich Methoden wie das „Mandala-Malen“, das sich aus Auseinandersetzung mit C.G. Jungs Werk ergab. Aber vor allem auch der „verbundene Atem“, ein wundervoller Weg zur Erfahrung und Förderung der eigenen Lebensenergie, drängte sich parallel zur Psychotherapie geradezu auf und entwickelte nach vielen Ausbildungen im Netzwerk www.verbundenerAtem.net ein erfreuliches Eigenleben“, so  der leidenschaftlich Vielarbeiter auf seiner Homepage.

Im Lauf der Zeit verlieren sich Rüdiger und Margit als Ehepartner. „Wir haben uns auseinandergelebt“. Nach 25 Ehejahren werden sie irgendwann friedlich geschieden. Die Scheidung dauert keine zehn Minuten. „Trotzdem war es noch immer unendlich viel Papierkrieg, da dachte ich, es reicht, ich werde sicher nicht noch einmal heiraten.“ Dennoch: „Wir schätzen uns noch immer sehr, wir haben 25 Jahre zusammen gedacht, gelebt, wir haben nach wie vor ein gutes Verhältnis“. Tochter Naomi, mittlerweile 20 Jahre alt, lebt bei ihrer Mutter Margit, die das Heil-Kunde-Zentrum in Johanniskirchen übernommen hat und mit den Mitarbeitern der ersten Stunde bis heute weiter führt.

Schon davor hat Dahlke begonnen, sich „auf seine zweite Lebenshälfte einzustellen. Er reist nach wie vor viel, verbringt die Winter auf Bali, seiner zweiten Heimat. Dort findet er Ruhe und Muße zum Schreiben, Meditieren, sammelt neue Kräfte, findet Inspiration.

Dann lernt er Rita kennen. „Rita ist Schweizerin, sie kommt aus der Wirtschaft, hat BWL studiert“.  Auch sie ist auf „Abwege“ geraten, arbeitet als Yogalehrerin, beschäftigt sich mit Augendiagnostik sowie Hand- und Fuß-Diagnostik – gemeinsam werden sie später ein Buch dazu herausbringen.

2007 jedoch begegnen sich die beiden erstmals in einem seiner Seminare in der Schweiz. Sie  hat sich gleich in ein höheres Seminar gesetzt – „gegen meinen Willen, das war mit den Veranstaltern so abgemacht, dass man zuerst die Einführungsseminare besuchen soll“,  aber Rita setzt sich durch.

Es kommt zum Flirt, schon während des Seminars wird klar, dass es da eine Verbindung gibt zwischen diesen beiden Menschen. „Danach haben wir erst mal viel gemailt, über zwei Monate hinweg. Wir haben uns ineinander verliebt, das war klar, haben aber beide noch in anderen Beziehungen gelebt – wobei ich schon im Zustand der Auflösung war, es war mir zu eng“, so Dahlke.  Beide wissen, dass es eine Beziehung werden wird – „noch bevor wir uns je berührt haben“. Es hat noch ein paar Monate gedauert, dann haben sie sich wieder getroffen und „wir waren ein Paar“. Rita hat zwei Kinder, lebt in Bern. „Ich hab quasi aus dem Koffer gelebt, mein effektiver Wohnsitz war am ehesten Bali, ansonsten war ich nur unterwegs, in Kärnten, Johanniskirchen, Italien, der Steiermark, kein bisschen sesshaft eben.“

Aber auch Rita ist viel unterwegs. „Sie ist in der ganzen Welt zuhause, sehr beweglich“, schwärmt Rüdiger Dahlke.  Mit Rita, „der Frau seiner Träume“, gewinnt Bali immer größeren Stellenwert, so dass er hier seit Jahren des Wanderlebens zum ersten Mal wieder (teil-)sesshaft wird. Er schreibt: „Hier nahmen weitere Deutungsprojekte in Buchform Gestalt an wie vor allem „Körper als Spiegel der Seele“ und „Die Spuren der Seele – was Hand und Fuß über uns verraten“, das zusammen mit Rita Fasel entstanden ist, ihr Interessen-Gebiet in den Mittelpunkt stellte.“

Ihr Zusammenleben entwickelt eine eigene Dynamik. „Der Abschluss des Alten rief geradezu nach Neuem. Statt uns im Angesicht meines 6. Lebensjahrzehnts dauerhaft zur Ruhe zu setzen, begann ich wieder mit wachsender Begeisterung zu schreiben und wir gingen an die Umsetzung alter Träume.“

So stellt sich bald die Frage: wo wollen sie künftig gemeinsam leben? In der Schweiz, in Österreich, Deutschland? Dahlke: „Ich hatte ja ein schönes Haus in Niederbayern gebaut, mit Margit in Johanniskirchen, aber da wollte Rita nicht hin, sie wollte nicht in Deutschland leben. Also haben wir weitergesucht und überlegt, Rita hat sich schließlich für Österreich entschieden“. Mit ein Grund: „…. weil hier alles ein bisschen leichter ist, mit mehr Schmäh…“

Der international tätige Fastenarzt und Seminarleiter besitzt die österreichische Staatsbürgerschaft ja schon lang: „Vor rund 20 Jahren wurde mir bereits die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen.“ Die deutsche Staatsbürgerschaft war ihm dagegen – auch schon vor langer Zeit – aberkannt worden. Dahlke vermutet, dass die Münchner Uni dahinter stecken könnte, die möglicherweise Belastendes aus seinen rebellischen Studienjahren zusammengesammelt hat. „Ich musste in Deutschland um Arbeitserlaubnis ansuchen, es war zeitweise einfach schikanös.“

Im Laufe seines Wanderlebens hat der weitgereiste Vortragende viele schöne Plätze gesehen auf dieser Welt, traumhafte Hotels genossen. Aber eines ist klar geworden: „Ich bin für mich zum dem Schluss gekommen, ich möchte dort leben, wo die deutschsprachige Kultur zuhause ist.“ Und Dahlke war immer gern in Österreich, im Süden – seit er als Kind erstmals hier Urlaub machen durfte. „Es war alles so wunderschön, wie im Paradies, ich hab mir nur gedacht: jede Kuh hat`s hier besser als bei uns.“ Der Wunsch sich hier niederzulassen ist immer stärker geworden. „Ich mag die deutsche Sprache sehr gerne“. Das spürt man auch in jedem Satz – Dahlke drückt sich stets sehr klar, pointiert und humorvoll aus, er spielt mit der Sprache…

Nach der Entscheidung für Österreich begeben sich Rita und Rüdiger auf die Suche  nach einem möglichen Wohnort. In der Südsteiermark wird ihnen ein aufgelassenes Weingut („drei Jahrzehnte nur Bioanbau!“) angeboten, ein riesiges Gelände, viel zu groß eigentlich. „Wir wollen ursprünglich nur etwas Schönes für uns, der Vorbesitzer ist uns aber sehr entgegen gekommen, denn eigentlich war es ja nur zum Wohnen gedacht, aber es war schließlich so ideal…“, beschreibt Dahlke die Anfänge. Denn da reift bereits der Gedanke vom eigenen, vom idealen Seminarhotel. Von einem Lebens- und Seminarzentrum, ganz nach den eigenen Wünschen und Vorstellungen, basierend auf ethischen, biologischen, ökologischen Grundsätzen.

Außerdem: „Ich habe ja viele Hotels und Seminarzentren erlebt im Lauf der Zeit mit allen Vor- und Nachteilen. Ich weiß mittlerweile, worauf es – mir – ankommt. Wir wollten hier ein Zentrum schaffen, wo alles ideal ist, perfekt passt, das war schon mein Traum.“

Allein hätte er das alles aber wohl nicht verwirklicht, wie er zugibt. Doch: „Rita war Feuer und Flamme“. Ein Konzept wird entworfen, danach wird eineinhalb Jahre gebaut. „Wir haben für alle Schritte von der Planung bis zur Umsetzung immer Leute gesucht, die unsere Philosophie mittragen, die eine ähnliche Lebenseinstellungen haben,  und wir haben viel mit den Leuten aus der Gegend hier gearbeitet. Die Bauweise war eher unkonventionell, wir haben unsere Gebäude ohne Metall, nur mit Holz und Lehm gebaut, es wurden Solar-, Photovoltaik- und Hackschnitzelheizungen installiert“. Die Plätze werden nach geomantischen Gesichtspunkten gewählt, die Parkettbretter mit Energie von Kraftplätzen, das Wasser mit Schwingungen von Heilquellen informiert. „Und über allem schweben Wellen, um die Raumatmosphäre zu optimieren.“

Die Bauarbeiten sind nicht immer einfach: „Unser Symbol ist der Ginko Baum, wir hatten einen kleinen gekauft. Den mussten wir aber ständig vor den Bauarbeitern retten, die sind sehr unzart mit den Bäumen und Büschen hier umgegangenen, haben vieles zerstört, weil es ihnen unwichtig erschien. Erst als wir ihnen den Wert des kleinen Ginko Baumes in Euro übersetzt haben  – 7.700 Euro hat er gekostet – da sind sie auf einmal vorsichtiger mit den Pflanzen umgegangen.“

Im April 2012 ist es schließlich soweit: TamanGa wird aus der Taufe gehoben. Bereits im März macht Rüdiger Dahlke hier seinen ersten Fastenkurs, als Probegalopp sozusagen. 2012 hat er bereits vier, fünf Monate hier auf TamanGa gelebt, berichtet er heute stolz. „Das ist schon richtig ungewöhnlich für mich, ich hab einfach kein „Sesshaftigkeitsgen“. Aber er wohnt gerne da. Es ist sein Zuhause geworden.  Neben Bali, seiner zweiten, seiner Wahlheimat seit zehn Jahren, wo er auch weiterhin regelmäßig schreibend und meditierend die Winter verbringen will. Er hat ein Haus dort, und keiner kennt ihn, das ist ihm wichtig, denn „da bin ich ungestört und kann in Ruhe meine Bücher schreiben“.

Zurück zu TamanGa, dem balinesischen Garten in Gamlitz. Eine Anlage in der beachtlichen Größe von elf Hektar, 14 Mitarbeiterinnen sind hier beschäftigt, die meisten von ihnen leben auch hier. Es gibt elf Wohnungen und 40 Gästezimmer. Und es gibt Platz für die Wohnmobile der Besucher und Seminargäste, wie Dahlke betont, auch das sei ihm wichtig. So nebenbei: es leben hier ebenfalls zwölf  Katzen und vier Hunde.

„Unsere Klausen sind ganz individuell, klein aber fein, und alle fernseh-und telefonfrei. Wir wollen achtsam im Augenblick leben und wenn wir in die Ferne sehen, geht es um andere Visionen“, kann man auf der Homepage von TamanGa nachlesen. Es wurde stets auf höchste Qualität geachtet, mehr denn auf Quantität. Nach dem Motto „Weniger ist mehr“ blieb Überflüssiges weg, um die Essenz energetisch unbelasteten Wohnens zu verwirklichen. „Eine Klause enthält, was ein Mensch auf dem Entwicklungsweg braucht: wenig.“
Betten und Matratzen sind aus Naturstoffen. Die Eichenparkett-Bretter der Fußböden sind mit der Energie von Kraftquellen aufgeladen, ebenso das Leitungswasser mit der von Heilquellen. In den Häusergiebeln hängen Geonado-Wellen und selbst die Kosmetik im Bad ist mit Heilschwingungen informiert.

Ernährung ist ebenfalls ein großes Thema. Die Lebensmittel werden hier großteils selber angebaut – es gibt zwei Glashäuser – und selber verkocht. Momentan muss noch einiges – an Bioware – zugekauft werden, aber es ist geplant, dass TamanGa sich in naher Zukunft gänzlich selber versorgen kann. „Unsere Ernährung hier ist rein vegan – wir wollen keine Leichenteile in unserer Küche!“, bringt Dahlke seinen Ansatz klar auf den Punkt. Er selbst lebt seit drei Jahren vegan, war  immer schon Vegetarier, wie er selbst sagt.

„Von vollwertiger pflanzlicher Kost aus dem großem bunten Biogarten lebend, wo ohne Maschinen, aber mit der Hilfe der Pflanzen-Devas himmlische (Feld)Früchte reifen, nutzen wir die bei uns überall wachsenden Heil- und Küchen-Kräuter als Grundlage grüner Smoothies und anderer Köstlichkeiten. Wir verstehen uns als Gäste auf dieser Erde und wollen uns auch so verhalten.“ Erfährt man auf der TamanGa-Seite.

Dahlke meint dazu: „Gemischte Vollwertküche hier im Zentrum wär vermutlich einfacher zu vermarkten, aber wir leben hier einfach einen sehr radikalen Ansatz. Es wird wahrscheinlich allein deshalb nicht der Verkaufshit, aber andererseits: es gibt meines Wissens bisher noch kein Seminarzentrum dieser Art. Und es gibt ein sehr gutes Wasser hier“, schwärmt der Ernährungs- und Fastenexperte weiter.

Es ist noch viel mehr geplant, wie man auf der Homepage nachlesen kann: „Unse­ren eige­nen Wein bekom­men wir in Bio-Qualität vom befreun­de­ten Nach­barn Roland Klapsch, Kräu­ter und Tees will Ger­trud sogar über unse­ren Bedarf hin­aus pro­du­zie­ren. Bio-Sonnenblumen-Öl konnte aus Pauls ers­ter Ernte sogar auf Vor­rat gewon­nen wer­den, (Kürbis-)Kernöl soll mit der nächs­ten fol­gen… Da Lebens-Genuss uns ein wich­ti­ges Thema ist, möch­ten wir der Welt des Essens so gesund wie mög­lich, aber nicht fana­tisch begeg­nen. So wer­den Pauls Bie­nen nicht nur unsere Gär­ten bestäu­ben, son­dern auch noch eini­gen Honig ein­brin­gen, und wir wer­den unsere Leder­schuhe und – Gür­tel auf­tra­gen“.

Die Zeit ist reif für ein ausgiebiges Mittagessen. Ein Gong ruft alle zum veganen Buffet. Ich werde eingeladen, darf kosten. Und es schmeckt wirklich vorzüglich, ein Lob der Küche. Nach dem Essen marschieren wir zurück ins Kaminzimmer, ich bekomme ich einen weiteren Mandelmilch-Kaffee serviert und ein Stück Kuchen, dann geht es weiter mit dem Interview.

Ich möchte kurz auch noch auf sein letztes Buch zu sprechen kommen, das 2012 im Scorpio Verlag erschienen ist: „Seeleninfarkt: Zwischen Burn‐out und Bore‐out. Wie unserer Psyche wieder Flügel wachsen können“

Dahlke greift die heißen Themen unserer Zeit darin auf, die Leiden der modernen Welt: permanente Zeitnot, Perfektionismus, überhöhte Ideale und Ansprüche, die allgegenwärtige Lebensbeschleunigung, den Sinnverlust. Er beschreibt den Seeleninfarkt als Pendant zum (medizinischen) Herzinfarkt – wenn der Organismus überfordert ist, das Herz nicht mehr genug Nahrung, Blut, Lebenskraft erhält, dann „bricht das Gesamtsystem des Betroffenen zusammen“. Man wird unmittelbar „in den Augenblick des Geschehens“ gezwungen und dazu „dem Herzen die maximal mögliche Aufmerksamkeit zu schenken“. Ähnlich der Burnout-Zusammenbruch, der ebenfalls abrupt aus dem Alltagsrad herauskatapultiert und in den Augenblick führt. Darin erkennt der Experte auch „die Möglichkeit echter Vorbeugung“. Dahlke schlägt weiters vor, Depression als höchste Eskalationsstufe von Burnout zu definieren bzw. umgekehrt im Burnout die Vorstufe, die Entwicklung zur Depression zu erkennen.

„Das Buch kann ihr Leben verändern, und das muss es auch, wenn es aus dem Seeleninfarkt heraushelfen oder ihn verhindern soll“, lässt sich gleich in der Einleitung eine „Einladung zu einem neuen Lebensstil“ finden.

Es ist leicht zu lesen und übersichtlich. Der Autor beschreibt anfangs das „Moderne Krankheitsbild Seeleninfarkt“ mit Definitionen, Diagnosen und Hintergründen. Wobei er die Hauptursachen in unserem Umgang mit der Zeit ortet sowie in einem eklatanten Wertewandel in der Arbeitswelt, aber auch zunehmend in verlorengegangenen Lebenssinn und Lebensinhalten. Keine Scheu hat er auch anderen Themen anzupacken, die burnout-verstärkend wirken können: Ernährungsfehler (inklusive unserem exorbitanten  Fleischkonsum), Mobilfunk und Störzonen, Ängste, Mobbing, Energielöcher etc.

In Teil zwei stellt er schließlich „Praktische Schritte in ein erfülltes Leben“ dar. Dahlke kritisiert gängige Wellness- und Hilfsangebote als nicht ausreichend, das sei nur Oberflächenkosmetik. Seine Anregungen gehen in Richtung einer für viele vermutlich gravierenden Änderung des Lebensstils: weg vom Fleischkonsum, bessere Ernährung, IT-Fasten, Meditation, Atemübungen, zurück zur Natur, Leben im Moment… Der Autor kann dabei auf profundes Wissen und jahrelange Eigen- und Fremderfahrung zurückgreifen. Er fasst zusammen, was er zum Teil in bisherigen Werken vorgestellt hat, viele Methoden und Hilfsmittel, die an anderer Stelle präsentiert wurden, fließen hier in kompakter Form zusammen.

Dennoch, es ist ein hoher Anspruch, finde ich, dass man als womöglich Betroffener sein ganzes Leben so radikal umstellen soll. Wo doch oftmals kaum die Kraft zum aktuellen Leben reicht. Dahlke dazu:

„Ich mache mir da auch nichts vor. Das Buch lesen vermutlich weniger die Betroffenen selbst – die haben ja gar keine Zeit dazu – sondern eher die Angehörigen, die Partner oder Partnerinnen der Betroffenen.“

Das Buch solle vielmehr ein Feld schaffen, eine Welle machen für ein neues Bewusstsein. Deshalb vermeide er auch allzu simple Rezepte. Denn „die Burnout Industrie macht ja auch schöne Sachen, ist auch alles ok, aber wenn ich dann zurück gehe an die gleiche Stelle und nichts verändert habe, wird sich auch nichts ändern, dann komm ich nicht raus aus dem Burnout“. Ihm geht es um eine allgemeine Bewusstmachung: „Es wird leichter, wenn man einmal verstanden hat, worum es geht“.

Einige seiner Grundideen, die auch seine Lebenseinstellung ausdrücken, fasst er für uns nochmals zusammen: So meint er gleich als erstes: „Keine Angst essen!“ Das heißt kein Fleisch essen, schon gar nicht von Tieren aus der Massentierhaltung, denn deren Todesangst sei in ihrem Körper gespeichert und übertrage sich bei der Nahrungsaufnahme – wir essen damit deren Angst. In seinem Buch „Peacefood. Wie der Verzicht auf Fleisch und Milch Körper und Seele heilt“, das 2011 erschienen ist, behandelt er dieses Thema ausführlich. Er berichtet von Patienten, die über die Kombination vollwertiger pflanzlicher Ernährung im Sinne von „Peace-Food“ mit zusätzlich psychosomatischer Deutung gravierende Krankheitsbilder in den Griff bekommen hätten.

Die Entwicklung des Buches „Peace-Food“ sei ausgesprochen erfreulich, meint er, es bewege sich auf  die 60.000 Stück zu und habe eine richtige Welle ausgelöst. Die Albert-Schweitzer-Stiftung verweise auf Statistiken, wonach bereits im 3. Quartal 2012 in Deutschland 1,7 Millionen Tiere weniger geschlachtet wurden als 2011.

Ein weiterer ganz wesentlicher Punkt ist für den Arzt und Therapeuten das „im Hier und Jetzt leben“ – „es geht um den Augenblick, darum, möglichst viele Dinge im Hier und Jetzt zu machen. Je mehr Zeit man im Augenblick, im Moment verbringt, umso geschützter ist man auch vor einem Burnout.“ Am deutlichsten kennen wir vielleicht dieses im Augenblick sein in der Erotik, meint er. Dieses im-Moment-sein bringe uns schließlich auch der Erfahrung von Einheit näher.

Und: „Egal, wie schlecht es einem geht, das ist immer möglich: alles im Augenblick tun!“

Er selbst ist immer bemüht vieles „im Augenblick zu machen“. Allein seine Tätigkeiten wie schreiben, reden, vortragen, meditieren seien auf den Moment ausgerichtet. Zum Meditieren ist Rüdiger Dahlke übrigens schon im zarten Alter von elf  Jahren gekommen, wie er berichtet:  „Ich hatte viel Feuerenergie, das verlangt nach einem Gegenpol.“ Mit elf bekommt er ein Fahrrad geschenkt, weil es aber nicht gleich klappt mit dem Fahren, zertrümmert er es in einem Wutanfall. „Mein Großvater hat mir daraufhin ein Buch über Meditation in die Hand gedrückt, weil ich selbst so verzweifelt war über meine Wut und Ungeduld.“

Ein anderer wichtiger Punkt: Sinnfindung. Was für Kinder oft noch selbstverständlich sei, dieses Aufgehen im Augenblick und einen Sinn finden, in dem, was man tut, das hätten viele Erwachsene verloren.

„Es ist entscheidend, das Sie Dinge tun, die Sinn machen für Sie selbst.

Religiöse Menschen kennen Burnout nicht, weil sie einen Sinn im Leben haben.“ Es brauche eine eigene Lebensphilosophie bzw. Religion. Es ließe sich auch Sinn finden in alltäglichen Dingen, im alltäglichen Tun. In der Gartenarbeit, im bewussten Zubereiten und Genießen der Mahlzeiten, in der Bewegung, Meditation. „Wie müssen wieder zurück zu den einfachen Dingen.“ Das wäre ein guter Schutz – und „es macht Sinn und Freude“.

Hilfreich wäre auch, sich gelegentlich ein paar wichtige Fragen zu stellen, wie: „Lebe ich an einem Ort, der mir gefällt, mit Menschen, die mir wichtig sind, die ich liebe und einer Arbeit, die mir guttut, die für mich Sinn macht?

Was uns dagegen oft  im Wege steht, so Dahlke: „Die Menschen sind sehr konservativ, behalten lieber ihr bekanntes Elend als Neues zu wagen. `Hoffentlich geschieht nichts´, ist oft ihr Lebensprinzip. Da steckt viel Angst dahinter.“

Eine Angst, die der Autor wohl nicht kennt. Er ist in seinem Leben immer wieder zu neuen Ufern aufgebrochen.

Und wo steht er heute?  Will ich zum Abschluss wissen. Wie schaut sein Leben mittlerweile aus, was beschäftigt den bekannten Mediziner und Vortragenden momentan?

Heute macht der vielseitige Weltenbummler vorrangig Seminare, Vorträge und Ausbildungen. Und schreibt weiterhin Bücher. Beratungen und Behandlungen als Arzt und Therapeut bietet er nur mehr im Rahmen seiner Seminare an.

Er freue sich auch, dass Mitarbeiter und Schüler seine langjährigen Kursinhalte aufgreifen und weiterführen wollen – das hat zur Gründung der Akademie Dahlke und den APL (Angewandte Prinzipien des Lebens)-Ausbildungen geführt.

„Schon vorher hatte ich begonnen an der Buch-Trilogie über dieses Wissen zu schreiben, die mit den Titeln „Die Schicksalsgesetze – Spielregeln fürs Leben“, „Das Schattenprinzip“ und dem gerade erschienenen „Lebensprinzipien“ schon gleich von Beginn an zu einem großen Erfolg wurde. Die beiden ersten Bücher wurden sofort zu Bestsellern, was zeigt, wie groß das Bedürfnis nach diesem grundlegenden Wissen auch unter modernen Menschen ist. Besonders erfreulich empfand ich persönlich, dass ich – via Internet – dabei weiterhin auf die bewährte Zusammenarbeit mit Margit bauen konnte, während ich mit Rita unsere neue Zukunft in der steirischen Toskana baute“, berichtet der Autor auf seiner Homepage.

Zwei neue Buchprojekte hat er gerade in Arbeit: „Alltag als Symbol“, in dem er Alltagsgeschehnisse deuten will, in Anlehnung an Freuds Psychopathologie des Alltags, und in Analogie zu bisherigen Büchern wie „Krankheit als Symbol“ oder  „Der Körper als Spiegel der Seele“. Das zweite Projekt nennt sich „Mythos Erotik“. Beide Bände sollen 2013 auf den Markt kommen.

Was einige vielleicht noch nicht wissen, Rüdiger Dahlke schreibt auch gern Aphorismen, Sinnsprüche, es gibt einige Büchlein dazu. „Meine Gedanken aufzuschreiben macht Freude, ich arbeite einfach gerne mit der Sprache“.

So ist 2013 bereits sein Tisch-Aufsteller „Das Geheimnis des Loslassens“ herausgekommen – „mit den großen herausfordernden Themen des Lebens und Loslassens“, wie er betont.

„Die Arbeit an diesen 52 Wochen mit ihrem jeweiligen Loslass-Geheimnis hat mir im Sommer 2012 viel Freude gemacht und ich hoffe, das Ergebnis wird Ihnen Freude und erleichternde Ergebnisse bringen“.

 

Eine kleine Kostprobe von einer Seite, die übrig blieb:

  • „Wer anderen nichts gönnt, lässt natürlich auch sich selbst zu kurz kommen und stellt sich gegen Mutter Natur, die aus vollen Händen schenkt und den Überfluss l(i)ebt“
  • „Der Fluss des Lebens führt meist mehr als genug Wasser“
  • „So die Natur ihre Schätze im Überfluss vor uns ausbreitet, könnten auch wir mit Gewinn teilen und schenken und damit die Welt und uns selbst so sehr bereichern“
  • „Was wir an Lächeln verteilen, macht uns selbst glücklicher“
  • „Besitz, den wir nicht brauchen, wird zu Ballast, der beschwert“

 

Was ihn noch freut: Dass er mittlerweile auch von der Schulmedizin akzeptiert wird: „Nicht nur werden meine Ärzte-Fortbildungen seit Jahren von der Ärzte- und der Apothekerkammer anerkannt und mit Fortbildungspunkten belohnt. Jetzt kann ich mit dem Segen der Ärztekammer und Unterstützung des Ethnomediziners Dr. Hobert die Ausbildungen für den Zusatztitel „Arzt für Naturheilweisen“ geben.

Und TamanGa? TamanGa läuft gut, die Kurse sind begehrt, viele schon ausgebucht.

2012 war TamanGa auch Energiepreisgewinner des Jahres. „Wir haben den österreichischen Energiepreis „Klima aktiv“ gewonnen und sind von DI Nikolaus Berlakovich im November 2012 im Zuge des klima:aktiv Projektes des Umweltministeriums als besonders energieeffizientes und ressourcenschonendes Projekt prämiert worden“.

Aus den geplanten zwei Stunden Interview sind fast vier Stunden geworden. Auch wenn noch viele Fragen gäbe, wir enden hier und brechen noch auf zu einem kleinen nachmittäglichen Rundgang durch die Anlage. Die Sonne lugt inzwischen hinter den Wolken hervor, es ist warm geworden. Ich verabschiede mich mit einem Arm voller Bücher und angeregten Gedanken.

Er ist weitgereist, der Rüdiger Dahlke. Im tatsächlichen wie im übertragenen Sinn. Heute, mit knapp über 60, scheint er angekommen zu sein. In seinem Leben, seinen Lebensinhalten, seiner Arbeit, seinem Seminarzentrum und seiner Liebe.

 

Seminar-Zentrum TamanGa

A-8462 Gamlitz, Labitschberg 4, Telefon: +43-3453-33600

www.tamanga.at

www.dahlke.at