Katz & Maus
(Veröffentlicht: Driesch 2011)
Sie ist eine Jägerin. Sobald sie ihre Beute erspäht hat, macht sie sich bereit. Bereit zum Kampf, bereit zum Spiel. Denn es ist ein Spiel für sie, ein stets aufs Neue herausforderndes, anregendes Spiel. Sie lässt sich fordern bis zum letzten. Sie geht aufs Ganze – stets. Sie setzt alles aufs Spiel. Ohne ein Risiko zu scheuen. Sie lässt sich ein, sie gibt sich hin, diesem Spiel. Und sie gewinnt fast immer. Kaum eine Beute, die sie ins Visier genommen und alsdann nicht erlegt hätte. Sie lässt sich Zeit dabei, gerne. Je länger das Spiel dauert, desto lieber, desto spannender, genussvoller. Sie liebt jedes Detail dieser kämpferischen Auseinandersetzung. Und sie liebt Gegner, die sie fordern. Nicht interessiert sie leichte Beute. Was leicht zu haben ist, sich ihr zu Füßen legt, das will sie nicht. Keine Mühe, kein Einsatz, keine Lust. Nein, sie sucht die Herausforderung. Je stärker der Gegner, den sie jagen wird, desto größer die Lust. Desto mehr Kräfte kann sie mobilisieren. Sie wächst an der Macht, am Widerstand ihrer Beute. Nicht das Erlegen, nicht das Besiegen ist das Ziel, nein, es ist die Jagd an sich, der trickreiche aufwendige Einsatz aller ihr zur Verfügung stehenden Mittel & Methoden, um die Beute einzukreisen, den Widerstand zu brechen (sorgsam, sanft, ohne es überhaupt bemerken zu lassen). Immer neue Strategien findet sie sich, immer neue Varianten, ihre Phantasie tobt, ihre Konzentration ist gespannt bis zum äußersten – lange, lange zögert sie den letzten, den finalen Zug hinaus, der ihr die Beute endgültig sichert. Wie ein Kätzchen die Maus lässt sie vor dem Todesstoß wieder los, beobachtet gespannt, fährt die Krallen siegesgewiss wieder aus, treibt das Mäuschen in die Enge, ohne Ausweg, jeden Fluchtweg schneidet sie ab, sukzessive & systematisch und fixiert dabei mit neugierigem Blick ihr Opfer– das noch kämpft, noch an sein Überleben sich klammert, nicht aufgeben mag, noch hofft, wo sie doch längst schon alle Fäden in der Hand hat, längst das Ende kennt. Und sachte dann und schonungslos zieht sie die Fäden enger und enger. Ihr Herz vibriert vor Lust und vor Erregung. Jetzt, ja jetzt, jetzt ist es soweit, jetzt gibt es kein zurück mehr, kein Entrinnen. Mit einem erbarmungslosen schnellen Schritt setzt sie ihr Opfer schachmatt. Die Beute ist erlegt, liegt ihr zu Füßen, gehört ihr. Ganz und gar. Das Ziel ist erreicht. Noch für einen Moment genießt sie dieses Gefühl, dieses erhabene, triumphierende Wissen, dass sie es wieder einmal geschafft hat, diesen Anblick ihres Sieges. Dann wendet sie sich ab, sucht ihre Sachen zusammen, packt Zahnbürste und Unterwäsche in ihren abgegriffenen kleinen Reisekoffer, hinterlegt ein Zettelchen, gewissenhaft jedes Mal, auf dem steht: „Es ist vorbei – leb wohl!“
Und sie steigt die Stufen hinab, raus auf die Straße, atmet die frühe Morgensonne ein, strafft ihren Körper, ihre Gedanken – und macht sich von neuem auf die Suche – nach dem nächsten Mann, der nächsten Beute, die sie erlegen will. Ihr Instinkt hat bereits Witterung aufgenommen.