Erzählungen

ARBEITS-LOS

(Veröffentlicht: driesch, Juli 2010 + Klipp, Feb. 2011)

 

Der Wecker klingelt. Nein, nur das nicht. Heute nicht. Ich kann nicht. Kaum geschlafen, diese Nacht. Ich schaff es nicht. Dreh mich rum, wickle mir die Decke über den Kopf, grunze, seufze, ächze. Mit einem Schwung zieht Otto mir die Decke vom Kopf. Mit unerträglicher Fröhlichkeit brüllt er „Aufstehen, Zeit zum Aufstehen, Liebling. Das AMS wartet!“ und dann, als ich noch immer nur grunze und ächze, „der Kaffee ist auch schon fertig“…

Mir ist kalt. Seufzend quäle ich mich aus dem Bett, unter die Dusche, zwinge mir Rouge und Eyeliner ins Gesicht, schlurfe in die Küche, halte dem qietschvergnügten Otto mein Kaffeehäferl zum Auffüllen unter die Nase und lasse mich von seinen frühmorgendlichen Erkenntnissen berieseln. Dem geht´s gut, der muss nicht zum AMS. Der hat einen Job an der TU. Einen tollen Job. Mit viel Gehalt und viel Freizeit. Eigentlich mehr Freizeit als sonst was. Vielleicht sollte ich mich auch an der TU bewerben. Bloß als was?

Ich mag nicht. Ich mag nicht zum AMS. Nicht heute. Ich muss.

Ich stehe in der Straßenbahn. Es ist viel zu früh. Für mich. Es ist viel zu voll. Es ist viel zu laut. Fast übersehe ich die richtige Station. Normalerweise fahre ich so nicht hierher –  nicht mit der Straßenbahn. Ein paar Schritte zu Fuß. Quer durch den stinkenden, lärmenden Verkehr. Ich bin müde, ich gähne. So was von keine Lust.

Ich bin da. AMS, Arbeitsmarkt Service Graz, acht Uhr, acht Uhr zwei, um genau zu sein. Was soll´s. Bin ich halt zu spät. Ich hasse dieses Gebäude. Ich will da nicht rein. Allein die Vorstellung löst Übelkeit in mir aus. Aber ich muss. Ich brauche das Geld. Wenn ich hier nicht reingehe, kriege ich kein Geld. Und keine Versicherung. So einfach ist das. Also: Tür auf.

 

Menschenmassen drängen sich schon am Gang. Es ist Montagmorgen. Es ist schwül, es ist stickig, es riecht nach Schweiß und Kaffee. Mein Magen revoltiert. Mein Kopf revoltiert. Irgendjemand grüßt. Ich grüße auch nach allen Seiten, wie es sich gehört. Was tut man nicht alles für Geld.

Ein junges Mädchen grinst mich breit an. Irgendwie fast verständnisvoll. Hat wohl auch eine lange unausgeschlafene Nacht hinter sich. Ein alter Mann zieht mich am Ärmel. „Wo ist hier das Klo?“ nuschelt er mir mit einer Alkfahne ins Gesicht. Das brauche ich selbst bald. Ich stolpere den Gang entlang. Vorbei an Zimmer 1 bis 8, vor 9 ist es besonders schlimm. Da drängeln sich sicher schon fünfzehn Leute, Knoblauchgeruch schlägt mir entgegen. Ich bin nahe dran einfach umzudrehen und wieder bei der Tür rauszumarschieren. Pfeif aufs Geld. Wieso tu ich mir das an? Immer wieder. Es ist acht Uhr vier. „Auch wieder mal unpünktlich, Frau Meier, ist ja ganz was neues!“ Ich stehe in der geöffneten Tür, Herr Haberzahn schaut mich mit strafendem Stirnrunzeln an. „Der Chef war schon da und hat sich nach ihnen erkundigt!“, meint er noch mit Genugtuung. Dann drängt auch schon ein Frau mittleren Alters bei der Tür rein, mit drei Billasäcken bewaffnet, die sie vor den Schreibtisch wirft.

„Ich wart da schon seit einer halbe Stunde, eine Frechheit ist das, wir werden behandelt wie der letzte Dreck, kein Respekt, als ob wir Arbeitslosen nicht auch Termine hätten…“

„Ja ja, ist schon gut, Frau Säger, ich bin ja schon da“. Mit einer Hand schalte ich den PC ein, mit der anderen ziehe ich mir den Sessel heran… Der Arbeitsalltag hat mich wieder.