Buchbesprechung

Gelesen: Kein Roman.

Jenny Erpenbeck: Kein Roman. Texte 1992 bis 2018. Erschienen: September 2018. Verlagsgruppe Random House. ISBN: 978-3-328-60029-9

 

Ich gestehe: es gibt Bücher, die lege ich ungern aus der Hand. Die mag ich einfach nicht zu Ende lesen. Da schlage ich immer wieder weiter vorne auf, blättere herum, lese diese oder jene Seite noch einmal, mache mir Notizen, denke nach, lasse wirken. Erzähle anderen davon. Greife ein Thema auf, das es wert ist weiter zu denken, zu diskutieren. Lass mir einen Satz oder Absatz auf der Zunge zergehen, schreibe ihn mir auf. Lasse mich inspirieren, beflügeln. Solche Bücher wachsen mir ans Herz, werden Wegbegleiter

Eines dieser Bücher ist eindeutig: Kein Roman. Texte und Reden. Von Jenny Erpenbeck. Ich gestehe, es ist das erste Buch, das ich von dieser bekannten deutschen Autorin in Händen halte. Davor schon habe ich auf „Gehen, ging, gegangen“ spekuliert, ihren 2015 erschienenen preisgekrönten Roman, der mit seinem aktuellen Thema durch die Medien ging – von mir vorerst aber (noch) ungelesen blieb. Jetzt endlich habe ich begonnen mich mit dieser außergewöhnlichen Autorin auseinanderzusetzen.

Kein Roman ist kein Roman. Es ist eine Sammlung von Texten, die einen breiten Querschnitt durch das bisherige Leben und Schaffen dieser Schriftstellerin, Regisseurin, Denkerin und vielfachen Preisträgerin vermittelt. Die Hintergründe ausleuchtet, Persönliches preisgibt. Ein buntes Potpourri an Texten – kurze, kaum zwei Seiten, längere, lange. Quer durch die vielfältigen Lebensbereiche dieser ungemein begabten Frau. Ein üppiger Strauß an Texten. Preis- und Dankesreden, Abhandlungen, Überlegungen zu einem Drehbuch, Unterlagen für eine Poetik-Vorlesung, ein offener Brief, Bildbeschreibungen, Reden, persönliche Erinnerungen.

In feinste Worte gefasst, offen und direkt, klar und deutlich. In wunderschöne Sprache verpackt, mit eingängiger Sprachmelodie. Kein Wunder, hat Jenny Erpenbeck doch erst Theaterwissenschaft studiert und wechselte dann, 1990, zum Studium der Musiktheater-Regie zur Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ Berlin. Nach dem erfolgreichen Abschluss dieses Studiums 1994 arbeitete sie einige Zeit auch als Regieassistentin am Opernhaus Graz. Neben ihrer Regiearbeit schlug Erpenbeck in den 1990er Jahren die schriftstellerische Laufbahn ein. 1999 erschien ihr Debüt „Geschichte vom alten Kind“…

Aber zurück zu Kein Roman. In sechs Abschnitten versammeln sich auf über 400 Seiten prächtige Wortgemälde, gebündelt zu Kategorien wie: Leben. Musik. Schreiben und Literatur. Gesellschaft… Jenny Erpenbeck greift Worte und Gedanken bekannter Künstler auf, spinnt sie weiter, setzt sich mit deren Werken auseinander, stellt Bezüge her zum hier und heute. Seien es die Brüder Grimm oder Wagners »Götterdämmerung«, Thomas Mann, Heimito von Doderer oder Hans Fallada. Sie äußert sich zu Politik, Geschichte, zum aktuellen Weltgeschehen. Stets so, dass sie Gedanken aufwirft, durcharbeitet, dreht und wendet – und anbietet zum weiteren Gebrauch.

Einen kurzen Streifzug durch ihr schreibendes Leben schildert Jenny Erpenbeck eindrucksvoll bereits im Vorwort. Da schreibt sie dann: „Damals machte ich zum ersten Mal die Erfahrung, dass auch ein Anderer einem die Tür zum eigenen Nachdenken aufmachen kann“. Mit diesem, ihrem Buch hat sie nun gewiss sehr vielen Menschen sehr viele Türen zum Nachdenken geöffnet. Danke dafür!

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Zur Autorin: Jenny Erpenbeck, geboren 1967 in Berlin, ist Regisseurin und Schriftstellerin. Und Tochter des Physikers, Philosophen und Schriftstellers John Erpenbeck und der Arabisch-Übersetzerin Doris Erpenbeck. Ihre Großeltern väterlicherseits sind die Autoren Fritz Erpenbeck und Hedda Zinner. Jenny Erpenbeck verbrachte ihre Kindheit in Ostberlin, wo sie auch ihr Abitur machte und den Fall der Mauer „verschlief“. Sie debütierte 1999 mit der Novelle »Geschichte vom alten Kind«. Es folgten zahlreiche Veröffentlichungen, darunter Romane, Erzählungen und Theaterstücke. Seit 2001 erhielt sie unzählige Preise (GEDOK Literaturförderpreis, Solothurner Literaturpreis, Heimito von Doderer-Literaturpreis, Hertha Koenig-Literaturpreis, Thomas-Valentin-Literaturpreis, Thomas-Mann-Preis, Usedomer Literaturpreis etc.)