Psychokram

Hochsensibel: Wesenszug, nicht Krankheit

Das Thema Hochsensibilität ist noch recht jung… in der Psychologie, der Forschung, im medizinischen und sozialen Bereich – und erst recht im Alltagsgebrauch. Erst seit Ende der 1990er schwappte das Thema mit dem Buch der amerikanischen Psychologin Elaine N. Aron allmählich an die Oberfläche… wobei sich durchaus auch davor schon Psychologen und Psychiater (zb Carl Gustav Jung) mit der unterschiedlichen Sensibilität von Menschen befasst haben. Eine gute Zusammenfassung dazu findet sich auf den Seiten der Beraterin und Autorin Brigitte Karres, die auch das Buch „Komm raus, ich seh dich! Von Glück, Selbstwirksamkeit und Wachsen hochsensibler und hochbegabter Kinder“ veröffentlich hat (ISBN: 978-3-9504121-1-6, Festland Verlag Wien, 2016).

Tatsache ist, dass unterschiedliche Ausprägungen von Sensibilität und deren Auswirkungen für viele noch Neuland bzw. unbekannt ist, auch für im psychosozialen Bereich Tätige. Oft höre ich:

„Das ist ja keine Diagnose!“

Nein, natürlich nicht… soll es auch gar nicht sein. Hochsensibilität ist KEINE Krankheit (!), es ist ein besonderer Wesenszug, eine Fähigkeit, die sich auf vielen verschiedenen Ebenen zeigen kann. Und die es zu berücksichtigen gilt. Für den einzelnen Menschen in seinem Alltag, aber auch für BehandlerInnen, BeraterInnen, LehrerInnen, TrainerInnen, Eltern, Lebenspartner usw.

Denn hochsensible Menschen agieren und reagieren anders. Sie nehmen vielfach mehr, stärker, intensiver, früher wahr, ihre Sinneskanäle, ihr Gehirn werden früher und stärker gefordert – damit ist aber auch ihre Belastungsgrenze früher erreicht (nicht weil sie nichts „aushalten“, sondern im Gegenteil, weil sie schon zu lange zu viel aushalten!) Hochsensible Menschen neigen dazu, viel zu oft über ihre Grenzen zu gehen, weil sie mit anderen (die weniger sensibel sind und auch deutlich weniger „mitkriegen“) mithalten wollen, weil sie keine „Schwäche“ zeigen wollen… und weil sie oft selbst nicht wissen, was mit ihnen los ist, warum sie so anders reagieren als andere.

All das kann bei Hochsensiblen zu häufiger massiver Stressüberflutung bis hin zu chronischer Erschöpfung, Depression, Burnout führen. Und ich stelle einmal die gewagte These auf: möglicherweise sind auch andere unserer psychischen Erkrankungen zum Teil auf eine „übergangene“, nicht erkannte, nicht berücksichtigte Hochsensibilität zurückzuführen – eine massive Überforderung von Geist und Seele, die letztlich krank machen kann.

Aber, wie gesagt: Nicht die Sensibilität ist das Problem, sondern unser Umgang damit!

Unsere Aufgabe soll sein: diese Anlage/Fähigkeiten entsprechend zu würdigen und wertzuschätzen, seinen Lebensstil danach auszurichten, ein entsprechendes Lebensumfeld zu schaffen bzw. zu ermöglichen und die Vorteile/Gaben zu nutzen, die sich daraus ergeben – für sich selbst, für andere, für die Gesellschaft, in der wir leben.

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Der Kurier hat sich im Frühjahr mit dem Thema beschäftigt und einige Artikel/Interviews dazu gebracht – hier die links dazu, durchaus lesenswert!

Gefühlsexplosion: Wie sich Hochsensibilität anfühlt (Feb 2019)

Hochsensibiliät: Warum Reize zu viel werden können (März 2019)

Interview zum Thema Hochsensibilität: „Als könnte ich Staub fallen hören“ (März 2019 )

Und noch ein älteres Interview mit Sylvia Harke über ihren Weg und ihr Leben mit Hochsensibilität – was steckt dahinter? (Okt 2017)

(Foto: mit Dank an pixabay)