Buchbesprechung

Loslassen und leichter leben

Susanne Weingarten: „Völlig losgelöst. Wie wir mit weniger glücklich werden“. Penguin Verlag und Spiegel Verlag, 2019. ISBN: 978-3-328-10364-6.

 

Ein Büchlein ganz nach meinem Geschmack: Viele, viele ganz unterschiedliche Kapitel, die sich mit dem einfacheren, leichteren Leben ohne Ballast und unnötigen Ressourcenverbrauch beschäftigen. „Völlig losgelöst. Wie wir mit weniger glücklich werden“ wurde von Susanne Weingarten, ihres Zeichens Spiegel Ressortleiterin, herausgegeben und ist eine überarbeitete Fassung eines Heftes aus der Reihe Spiegel Wissen (Ausgabe 5/2015). Verschiedene Spiegel-Redakteure/innen haben recherchiert und Texte und Interviews beigetragen – was zu einer großen sprachlichen wie inhaltlichen Bandbreite führt…

… auch wenn mich diese Tatsache im ersten Moment irritiert hat. Dennoch: Das Buch ist eine fundierte Zusammenstellung vieler Themenbereiche, die bis heute nichts an Aktualität eingebüßt haben – im Gegenteil! Die Kapitel sind in 3 Teile gegliedert: Konzentration auf das Wesentliche. In der Balance. Und: Weniger Konsum, mehr Gewissen…. und bieten damit einen guten Querschnitt über viele Lebensbereiche. Ob ich nun meinen Wohnraum oder meinen Kleiderkasten ausmisten will (Marie Kondo sei gegrüßt!), mit weniger Einkommen und weniger Besitz durchs Leben gehen möchte, ob ich Ressourcen schonen und nachhaltig leben will, ob ich aussteige, ins Tiny House ziehe oder alternative Projekte starte, die der Gesellschaft und der Natur dienen, hier kann man sich als LeserIn einen guten Überblick verschaffen, was denkbar, machbar, lebbar ist.

Untermauert wird alles mit Zahlen, wie: „60 Prozent aller Lebensmittel verschwinden in privaten Haushalten in der Tonne.“ Oder: Jedes Jahr werden in Europa „rund 5,8 Millionen Tonnen Kleidung aussortiert“. Auch „in der Schweiz, schätzen Experten, endet etwa ein Drittel aller Lebensmittel als Abfall“. Usw. Wir leben vielfach in einem unüberschaubaren Produktionsüberfluss, der nicht nur uns selbst maßlos überfordert, sondern letztlich auch die Natur, Tiere, Pflanzen, den ganzen Erdball zerstört.

Erfrischend und erleichternd daher, wenn man liest, dass sich doch viele Menschen Gedanken machen und Alternativen entwickeln. So wie die Thinkfarm in Berlin, ein Co-working Büro für Sozialunternehmer, die an neuen Wirtschaftssystemen arbeiten. Oder die Ärztin Ruth Pfau, die statt Karriere in Deutschland zu machen, als Nonne in Pakistan gegen Lepra und Ausgrenzung kämpft. Nicolas Chabanne, der mit seinen verbeulten Früchten „Gueules Cassées“ ein Nachhaltigkeitslabel geschaffen hat, an dem auch die Supermarktketten nicht mehr vorbei können. Die Online-Plattform www.murks-nein-danke.de wehrt sich dagegen, dass Hersteller bewusst Pfusch anbieten, um die Lebensdauer ihrer Produkte zu senken und damit den Verkauf ankurbeln zu können. Oder Manager, die ihren Job kündigen, den Porsche verkaufen, weil sie „weniger wollen“. Menschen, die sich bewusst eine Teilzeitstelle suchen, ganz aussteigen oder auf 8 Quadratmeter wohnen, weil ihnen das reicht. Ganz Normalsterbliche werden portraitiert, die auf Plastik verzichten (www.besserlebenohneplastik.de), keinen Müll produzieren oder Lebensmittel retten (Foodsharing – hier von mir ein Tipp für Graz – denn die Adressen und Beispiele sind größtenteils aus bzw. mit Bezug Deutschland).

Nützliche Tipps und Anregungen gibt es dennoch reichlich für jederman/frau – ob für Alltag, Wohnen, Arbeiten, Reisen, persönliches Engagement, Konsumverzicht und Lebensidentität. Dazu noch der Verweis auf interessante Bücher und Internetseiten. Insgesamt also ein praktischer kleiner Helfer im Dschungel von Minimalismus-Konzepten und Nachhaltigkeitsprojekten. Lesenswert und nachahmenswert.