Portraits

Mein Leben ist Musik – Sir Karl Haidmayer

(Auszugsweise veröffentlicht in: Die Feder, 2012 + Klipp, 2013)

 

„Gehe die Stufenleiter hindurch, dass du einst leben wirst im Wunderreich der Töne, denn das ganze Weltall ist eine Sinfonie des Schöpfers… Sei auch du ein Instrument“ – „Ich danke dir, wer bist du, wie heißt du?“ – „Nenne mich Lyrius.“

So lautet die Tagebucheintragung auf Seite 6019, geschrieben am 6. September 1951 vom damals 24jährigen Karl Haidmayer. Er beschreibt darin die Begegnung mit einem Mann, der damals als Medium aufgetreten ist. Karl Haidmayer ist tief beindruckt von seinen Worten, er stenographiert die an ihn gerichtete noch weit längere Ansprache des Fremden Wort für Wort mit und wird sie später in sein Tagebuch übertragen. Auch ein eigenes Stück komponiert er schließlich dazu – es wird 1959 im Kongresssaal in Innsbruck uraufgeführt. Karl Haidmayer nimmt sich die Worte zu Herzen – sein Leben war damals schon von Musik geprägt, sein Denken und Schaffen von Kindheit an – bis zum heutigen Tag –  der Musik gewidmet.

Am 1. Mai 1927 wird Karl Haidmayer in Hollabrunn/NÖ geboren. Bereits 1930 übersiedeln seine Eltern, Anna und Karl, nach Graz, das der Komponist und Musiker schätzen und lieben lernt. Er wird den größten Teil seines Lebens in der steirischen Landeshauptstadt verbringen und ihr zahlreiche Werke bescheren. Erst im hohen Alter schließlich zieht er mit seiner Frau Guggi ins Grazer Umfeld, wo die Luft besser ist und er sich auch heute noch in Ruhe in seine Partituren vertiefen kann.

Aber zurück zu den Anfängen. „Zu meiner Zeit war es üblich in den Familien ein Klavier zu haben“, erzählt Karl Haidmayer aus seiner Kindheit. Der Vater war als Geschäftsmann viel unterwegs, die Mutter lernte daheim Klavier spielen, „mehr schlecht als recht, sie war nicht gar so talentiert“, lacht er. Aber der junge Karl sitzt gerne unterm Klavier, wann immer gespielt wird und im Alter von acht Jahren soll schließlich auch er Klavierunterricht erhalten. „Gleichzeitig hab ich auch mit dem Notenschreiben angefangen.“ Leider ist von diesen Jugendwerken kaum mehr etwas erhalten. “Mit 16 hab ich einrücken müssen, ich bin praktisch von der Schulbank weggeholt worden“ – seine Werke hat er dem Vater zur Aufbewahrung gegeben. Aber der Krieg fordert seinen Tribut – bei einem Bombenangriff wird die Wohnung der Haidmayers zerstört, das Klavier samt Noten verschüttet. Nur ein paar Kinderstücke, die der junge Karl immer bei sich getragen hat, hat er retten können. Trotz der schlimmen Zeit sind diese frühen Werke von einer großen Leichtigkeit – „Der kleine Soldat“ zum Beispiel, eine Komposition, die er im Alter von knapp 14 Jahren geschrieben hat. Wo sein musikalisches Talent herrührt, kann er nur raten: „Meine Mutter hatte während ihrer Schwangerschaft ein großes Bedürfnis Musik zu hören!“ – wer weiß, vielleicht hat sie damit ihrem Sohn die Leidenschaft zur Musik eingepflanzt. Sie war auch später gerne bei den Aufführungen seiner Werke dabei, obwohl „sie hat immer nur gesagt, mein Gott, ich versteh es nicht“, aber sie hat sich gefreut, war stolz auf ihren Sohn.

1947 macht Karl Haidmayer die Matura, 1952 absolviert er die Reifeprüfung am Landeskonservatorium in Graz. Parallel dazu studiert er  Musikwissenschaft und Kunstgeschichte an der Universität Graz, schließt mit dem Doktorat ab. Bereits von 1947 an werden seine Werke aufgeführt – das erste ein Stück für Tänzerinnen im Grazer Kammersaal. Seither ist seine Musik rund um die Welt gewandert, Uraufführungen alleine nur seiner Symphonien (17 sind es derzeit an der Zahl) gab es u.a. in Genf, Wien, Graz, Reykjavik, Durban/Südafrika, Oldenburg, Sofia, Uster/Zürich. Seine Kompositionen sind in ganz Europa, Afrika, Asien, Nord- und Südamerika bereits zu hören gewesen.

Haidmayer ist ein unermüdlich Schaffender, ob Symphonien, Musik für Soloinstrumente, Kammermusik, Messen, Filmmusik, Chansons oder – konkret – die „Eggenberger Schloßfanfare“ für LH Krainer, Meditationchansons für Grazer Kirchen, das welterste Werk für Saxophon-Quartett und Orgel oder die „Österreich-Kantate“, die 1975 am Grazer Hauptplatz unter Alois J. Hochstrasser uraufgeführt wird, zeugen von der unendlichen Schaffensbreite und Vielfalt des Künstlers.
Aber auch als Pianist kann Karl Haidmayer reüssieren. Seine Auftritte bringen ihn, wie seine Musik, rund um die Welt, besonders die Tournee mit Marianne Kopatz 1968, für die er Lieder und Chansons geschrieben und sie dazu am Klavier begleitet hat, ist ihm in bester Erinnerung geblieben. In den Konzertsälen und großen Opernhäusern in Tunesien, Algerien, Marokko, Portugal, auf den Kanaren, Madeira bis nach Spanien haben die beiden mit seiner Musik Erfolge gefeiert.

Ganz allumfassend müsste man den sympathischen Künstler mit der weißen Löwenmähne heute ja als „Univ.-Prof. et Prof. h. c. Dr. phil. Sir Karl Haidmayer“ titulieren. Wie er zu seinem englischem  Adelstitel gekommen ist, erzählt Sir Karl ganz schlicht: „Der Prinz von Hohenstaufen wollte eine Sinfonie haben, ich habe also eine CD für ihn aufgenommen und ihm geschickt.“ Die Sinfonie machte die Runde und Karl Haidmayer wurde für seine musikalischen Verdienste zum Grafen erhoben und erhielt den Titel Sir zuerkannt. Damit steht er in gleicher Riege wie Elton John, Sean Connery, Roger Moore, Paul McCartney, Steven Spielberg oder Nelson Mandela.

Ein großer Teil seines Lebens steht auch im Zeichen der Lehre und Weitergabe seines Wissens: Karl Haidmayer unterrichtet lange Jahre Komposition und Musiktheorie an der Musikhochschule in Graz, leitet parallel dazu eine Kompositionsklasse am Konservatorium der Stadt Wien, hält Vorlesungen über Musiktheorie an der Wiener Universität und wirkt als Juror des Blasmusikverbandes in Karlsruhe/Deutschland.

Als freier Mitarbeiter des ORF war er als Konzertkritiker tätig, hielt Vorträge und belebte so manche Diskussion, war Aufnahmeleiter, brachte 50 Sendungen „Die gute Schallplatte“ und schuf die Filmmusik zu 41 Kulturfilmen im Fernsehen.

Bücher und zahlreiche Diplomarbeiten sowie TV-Sendungen erzählen von seinem reichen Leben und belegen sein eifriges Schaffen.

Während viele Kompositionen seiner Jugendjahre bei Bombenangriffen und Plünderungen im Krieg verloren gegangen sind, findet sich heute in der Nationalbibliothek in Wien und in der Universitätsbibliothek der Kunstuni Graz ein Großteil seiner Original-Manuskripte – Lieder, Duette, Chansons, Chorwerke, Kammermusik, Messen, Kantaten, Oratorien, Kammersinfonien und Sinfonietten.

„Ich habe meine Noten ja immer nur mit der Hand geschrieben, Abermillionen von Noten, vor allem, als es noch keinen Kopierer gegeben hat, da war das Komponieren eine äußerst zeitraubende Tätigkeit“, erzählt Karl Haidmayer. Leider habe er seine alten Skizzen früher alle verheizt – „ich wusste nicht, dass das so wertvoll ist, früher haben ja nur die Originalpartituren gezählt. “ Heute dagegen wird alles fein säuberlich aufgehoben und archiviert. Und heute „ist der Kopierer mein wichtigstes Arbeitsinstrument“, schmunzelt der Künstler. Davor noch hat er mit Lichtpauspapier gearbeitet, das in einer mühsamen, komplizierten Prozedur bearbeitet und schließlich 15 Minuten in die Sonne gehalten werden musste. „Ich bin oft in meiner Wohnung in der Rettenbachergasse am Balkon oder auf der Gasse davor gestanden und hab Noten in die Luft gehalten – ein Problem gab es nur, wenn jemand vorbeigekommen ist und man geplaudert und dabei die Zeit übersehen hat, dann war das Papier wieder weiß und man konnte von vorne anfangen…“  Als endlich die ersten Kopierer auf den Markt kamen, war das ein Segen für ihn:  „Ich kopiere jetzt immer alle Partituren zigmal, zerschneide sie und klebe sie dann wieder entsprechend zusammen“ – der Arbeitsalltag eines großen Komponisten. Mittlerweile wurde wohl begonnen seine handschriftlichen Werke zu digitalisieren, um sie besser für die Nachwelt zu erhalten. „Aber“, so Karl Haidmayer, „ich hab die Geduld nicht am PC. Es wär gewiss eine Erleichterung, ich müsst es halt lernen, aber noch schreib ich meine Noten weiterhin lieber mit der Hand, am PC mach ich nur meine Bilder und Filme“, lacht er.

Ein weiteres handschriftliches Werk harrt derzeit seiner Veröffentlichung: Seit 1940 (!) führt Karl Haidmayer ein persönliches Tagebuch, über 70 Bände mit weit über 24.000 Seiten hat er vollgeschrieben, reich illustriert mit eigenen Zeichnungen – es ist geplant, auch dieses umfangreiche Oeuvre in Buchform herauszubringen.

Privat hat Karl Haidmayer nach drei Ehen als 80jähriger sein Glück gefunden – in Elisabeth T. Spiras Sendung outet er sich 2007 als Single auf der Suche. Aus der umfangreichen Post, die ihn daraufhin überschwemmt, zieht er ein Schreiben, das ihn sehr berührt. Die Dame wohnt in Innsbruck, man trifft sich in Linz – und „es hat sofort gefunkt“. Karl Haidmayer packt seine Zäzilia, die er liebevoll Guggi nennt, gleich ein und nimmt sie mit nach Hause. Einige Zeit später findet in der Gratkorner Musikschule, im nach ihm benannten „Karl-Haidmayer-Saal“ die Hochzeit statt – mit Elisabeth T. Spira als Ehrengast. „Guggi kümmert sich um meine Steuerangelegenheiten, mein Wohl und meine Gesundheit. Sie versteht es, mir Zeit zum Arbeiten zu lassen und vermag es mich zu motivieren und zu inspirieren, nicht nur, weil sie einen ausgeprägten Sinn für Musik mitgebracht hat, sondern ihr verdanke ich auch alle meine Aufführungen der letzten Jahre, die sie im Alleingang durch intensive Gespräche mit Veranstaltern und Dirigenten – vor allem mit Alois J. Hochstrasser – und durch mühsame Erkundung rar gewordener Förderungsquellen erreicht hat“, schwärmt der agile Künstler, der heuer am 1. Mai seinen 86. Geburtstag feiert.

Ihr  Domizil haben die beiden heute in  einer ehemaligen Schlosstaverne in der Nähe von Graz – geschmackvoll eingerichtet, das alte Gemäuer noch sichtbar, mit  Renaissancedeckengewölbe im Stüberl und mit Kunstwerken aller Art und einer umfangreichen Bibliothek ausgestattet.

Mit seinen schlohweißen, dichten Haaren, dem lebendigen, freundlichen Gesicht seiner quirligen, natürlichen Art und dem Feuer, das nach wie vor in seinem Herzen lodert – für die Musik, die Kunst, für das Leben – ist Karl Haidmayer bis heute ein beeindruckender Mensch, der viel zu erzählen  weiß.

Befragt nach weiteren Interessen, für die in seinem reich gefüllten Leben noch Zeit bleibt, zählt er rasch auf: Gedichte schreiben, fotografieren, Filme am PC zusammenstellen (über seine Reisen, seine Heimat) und zeichnen. Die Kunst, das Künstlerische liegt ihm im Blut. Und die Begeisterung dafür. Da spricht ein Mensch, der seine Liebe, seine Leidenschaft  lebt.

Interessiert habe ihn auch sonst immer schon alles, wie er sagt, überall habe er seine Nase hineingesteckt, „bei den Anthroposophen, den Theosophen, … alles wollt ich  kennenlernen, solange, bis ich Mitglied hätt werden sollen, dann bin ich gegangen“, lächelt er lausbübisch.

Auch für psychologische und parapsychologische Phänomene war er stets aufgeschlossen: „Ein Bekannter von mir, ein Hofrat aus  Wien, der hat immer einen speziellen Baum in Murau aufgesucht, für ihn schien im Baum ein Gnom zu leben, mit dem hat er sich unterhalten.“ Oder von einem Kind erzählt er, dass Glasmenschen gesehen hat. Karl Haidmayer hat kein Problem damit. „Auch ich bin oft als Spinner abgetan worden, wenn ich irgendwo auf einem Baumstumpf gesessen bin und Noten aufgeschrieben hab, völlig versunken, da haben viele halt gedacht, der spinnt halt!“

Noch eine Leidenschaft pflegt der künstlerische Tausendsassa: so schreibt Karl Haidmayer seit jeher schon seine Träume auf, mitten in der Nacht steht auf, wenn es sein muss, sicher an die 3500 Träume hat er in seinen Traumtagebüchern so schon festgehalten – „ich muss sie immer gleich aufschreiben, sonst sind sie weg!“ Diese andere Bewusstseinssphäre, das Nachtbewusstsein habe ihn immer schon sehr interessiert…

Auf diese Weise nehmen auch viele seiner Kompositionen ihren Anfang:

Plötzlich ist da ein Einfall – „die Idee fällt ein,  gleich wie bei den Träumen, und sie muss sofort aufgeschrieben werden, sonst ist sie weg, am besten gleich mit Metronomzahl“, eine kleine Skizze nur, dem Alltagsgeschehen entrissen.

Die zweite Möglichkeit, wie Karl Haidmayer als Komponist arbeitet: „Ich setze mich in Ruhe zum Tisch, bereite mein Papier vor und beginne zu schreiben – „ich muss es klingend erleben beim Niederschreiben“, so der Künstler. Und: „ Es ist jedes Mal aufs Neue ein umwerfendes Erlebnis, wenn ich das Stück das erste Mal dann höre.“ Auch bei jeder Uraufführung erlebe er sein Werk vollkommen anders, neu, „jeder interpretiert anders, es wird durch andere gebrochen, verändert, jeder bringt ein anderes Temperament ein…“ Karl Haidmayers Augen funkeln, er springt auf, denn er muss sich in seiner Begeisterung gleich wieder ans Klavier setzen und seinen Besuchern vorspielen… denn nichts sagt wohl mehr über diesen Künstler aus als seine Musik.

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Karl Haidmayer: Preise und Auszeichnungen

1951 Joseph-Marx-Preis

1965 Liedpreis und Kompositionspreis der Stadt Graz

1972 Musikpreis des Landes Steiermark und des ORF

1977 Kulturpreis des Landes Niederösterreich

1983 Goldmedaille für Kunst und Wissenschaft Bulgarien

1987 Großes Ehrenzeichen des Landes Steiermark

1993 Goldenes Ehrenzeichen der Stadt Graz

2002 Goldener Doktortitel Graz

Das Goldene, das Große Goldene Ehrenzeichen mit dem Stern vom Land Steiermark

Das österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse

Bulgarisches Ehrenkreuz

Ehrenkreuz für Kultur in Sofia

Ehrungen in London, Bamberg, Antwerpen

Kompositionspreise von Graz, Leibnitz, Hartberg, Feldbach

 

Literatur über Karl Haidmayer

Dr. Liselotte Theiner: „Musikalische Dokumentation Karl Haidmayer“, Wien 2000 (Erste umfangreiche Übersicht seiner vielen Werke, verfasst am Institut für Musik-Dokumentation der österreichischen Nationalbibliothek in Wien).

Karl Heinz Pöschl: „Die Sinfonien von Karl Haidmayer“, Dissertation, Graz 2004

Heinz Peter Platzer (Hrsg): „Karl Haidmayer. Ein Komponist seiner Zeit“, Graz, 2007, Edition Strahalm.