Wüstentagebuch
(Veröffentlicht in: Psychologie in Österreich / PiÖ, 2007)
Manfred Schmidbauer: „Abseits der Vorhersehbarkeit. Ein Wüstentagebuch“. 2006, Springer Verlag.
also, äh, ja nun, hmh… – irgendwie hab ich mir doch etwas anderes, zumindest fachbuchähnliches erwartet. ein fachbuch aber ist das wüstentagebuch sicher nicht, nicht mal ansatzweise.
mit psychologischen themen hat das wüstentagebuch so viel zu tun wie es jedes buch hat, bei dem es um menschliches wahrnehmen, denken, fühlen und verhalten geht.
praxisrelevante themen? es geht um menschliches (und manchmal tierisches) leben in seiner ursprünglichsten form, eingebunden in und verwoben mit der natur, ganz im gegensatz zu unserem modernen, zivilisierten, oft schon sehr naturfernen leben.
„wege, die uns aus dem gewohnten herausführen, schärfen die sinne und erhöhen die bereitschaft der zuwendung zu allem, was uns begegnet.“ (s. 214)
gut, ich habe bei der lektüre immer wieder versucht, mich vom gewohnten, erwarteten nicht ablenken zu lassen – die tatsache bleibt, dass dieses 225 seiten starke büchlein ein reiseabenteuer, ein skizzenblock, eine eindruckvolle schilderung menschlichen lebens unter kargen bedingungen, eine sammlung von gedanken, erkenntnissen, weisheiten, sprüchen, beobachtungen sein mag – aber was sucht dieses buch in der welt der fachliteratur? tatsache bleibt, dass das wüstentagebuch auch in buchhandlungen inmitten von fach- und sachbüchern zu finden ist. sei dem wie es sei.
„gedanken und träume liegen in der wüste auf dem weg – es zählt, ob man sich hinunterbeugt, um sie aufzuheben, und es zählt wo und in welchem moment man es tut. ob der sand sie vor uns verbirgt oder eine wanderdüne sie uns entdeckt… „ (s.68)
wäre manfred schmidbauer nicht primarius der neurologischen abteilungen eines wiener krankenhauses und hätte schon einige bücher ( wie etwa: „der gitterlose käfig – wie unser gehirn die realität erschafft“, 2004 oder „der nerventurm – eine neurologische zeitreise, 2006) geschrieben, wäre sein buch vermutlich nicht auf der rezensionsliste für psychologisch relevante bücher aufgetaucht.
nichtsdestotrotz ist es aber einmal da gelandet und das soll nicht heißen, das das buch schlecht ist – ganz im gegenteil, es ist eine erfrischend andere literatur, abseits von fach-/sach-/pseudo- oder unterhaltungsliteratur. textskizzen wie ebenso viele (bleistift-)zeichnungen, meist nur angerissen, angedeutet, lassen ein bild anderer welten entstehen – trotz der nur kurzen andeutung oft erstaunlich klar und lebendig: bilder, empfindungen, gedanken, phantasien tun sich auf… kino im kopf eben.
es ist wie eine kurze auszeit, weg vom alltag, ein wenig frische luft schnappen in anderen welten, eintauchen in anderen kulturen…
ein tagebuch ja, kein roman, keine erzählung, chronologisch gedanken, kleine miniaturen, gefühle, wahrnehmungen, erinnerungen aneinandergereiht, immer wieder unterbrochen oder ergänzt durch die vielen kleinen bleistiftskizzen…. manches mag vielleicht ein wenig lehrmeisterhaft klingen – der stein des weisen – aber wie der autor betont, beschreibt er: „nicht wahrheit – nur das gefühl von wahrheit, keine geschichte – nur viele augenblicke, kein bild – nur viele punkte in komplementären farben, die sich erst von weit weg zu einem ganzen finden und verbinden können…“
drei wüstenexpeditionen hat manfred schmidbauer aufgezeichnet, mit der „empfindung, dass es nicht immer einer erklärung bedarf“, wie er im vorwort erwähnt. die reisen führten ihn nach marokko, ägypten und die republik niger (die routen sind jeweils grob skizziert) – zu fuß, ohne kamera, mit zeichenstift und tagebuch. bemerkens- und bewundernswert für mich.
seine schilderungen machen auf jeden fall lust auf reisen, koffer packen und weg von unseren alltäglichen zwängen, sie machen lust auf wüstenmärsche. und sie geben kopf und seele ein wenig nahrung, neue (wiederentdeckte) perspektiven, weite und ein wenig grenzenlosigkeit.
in diesem sinne: „erweise jeder stunde deines lebens dadurch respekt, dass du sie zum besten in der augenblicklichen lage machst – unabhängig vom zutun anderer“